Freitag, 30. September 2016

Ende eines Sommers

Wo sind sie hin, 
diese sonnendurchwebten Tage,
die noch eben vor uns lagen,
leicht, hoffnungsfroh,
doch nun - vergangen,
schon kaum mehr greifbar, 
wie der letzte, flüchtige Lichtstrahl eines Tages,
dessen Verheißung sich niemals erfüllt hat.
Und was bleibt? Was bleibt ...?


Ein weiterer Sommer, der nun hinter uns liegt. Einer von vielen. Endzeitsommer, wie ich ihn nenne. Im Frühjahr, als die Tage grüner wurden, dachte ich, er könnte gut werden, eben weil das Frühjahr auch schon gut war, aber so kam es nicht. Der Sommer, kalt, dunkel und nass zuerst und dann gegen Ende gnadenlos heiß, glitt mir durch die Hände, genauso wie die Zeit, die ihn brachte, und die ihn nun wieder mit sich nahm. Und die eine seltsame Leere hinterlässt. So, als müsste da noch etwas kommen, und dabei ist doch schon alles vorbei.

Weder in Bildern habe ich ihn festhalten noch in Erinnerungen an warme Sonnentage; an Tage, die bei uns bleiben, selbst dann, wenn schon der erste Schnee gefallen ist. Diesmal war da nichts - fast nichts. Nicht viel, was es wert wäre, sich daran zu erinnern. Aber vieles, das besser in Vergessenheit gerät.



Da war die Fußball-EM in Frankreich, die so seelenlos daherkam, dass die Erinnerungen schon zu verblassen begannen, noch bevor das letzte Spiel abgepfiffen war. Später die Olympischen Spiele in Rio, von denen ich nicht eine Sekunde gesehen habe, weil sie mich so seltsam unberührt ließen.

Hilflos sah ich zu, wie gewohnte Strukturen um mich herum zusammenfielen. Meine Internet/Telefon-Verbindung, die plötzlich erschreckend instabil wurde; ein Schaden, der erst nach vielen Wochen und etlichen nervenaufreibenden Telefonaten halbwegs behoben werden konnte. Dieses Gefühl des Abgeschnittenseins von der Welt dort draußen, des Nicht-Reden-Könnens mit Freunden, wenn einem danach war ... Für jemanden, der über große Zeiträume hinweg an seine Wohnung gebunden ist, eine mehr als grenzwertige Erfahrung. 

Ein Haushaltsgerät nach dem anderen, das plötzlich anfing, sich zu verabschieden, dazu täglich zwei schwerkranke, geliebte Katzen vor Augen, die ihre letzte Zeit auf Erden verbringen ... und dann noch die eigene, schwindende Gesundheit. Das lebensspendende Wäldchen vor meinem Fenster, auf dessen Bäume ich so gerne geblickt habe, das radikal gefällt wurde, und dessen traurige Überreste man nun auf dem Boden verrotten lässt ... Es gab in diesem Sommer wenig, was ich all dem hätte entgegensetzen können. Die wenigen schönen Momente wurden ins Gegenteil verkehrt; flüchtiges Glück, aus dem am Ende doch nur Kummer erwuchs.

Nein, von diesem Sommer ist nicht viel geblieben. Nur dieses Endzeitgefühl, das so klebrig ist, dass es sich nicht so ganz abschütteln lässt. Vielleicht muss auch erst alles verloren sein, bevor etwas neues entstehen kann. Vielleicht.

Donnerstag, 4. August 2016

Stromausfall


Der Tag beginnt mit einer wirklich unliebsamen Überraschung. Wie immer geht mein Blick als erstes zur Uhr am Videorecorder (jawohl, so ein museumsreifes Ding steht hier immer noch rum und wird sogar manchmal noch benutzt), um zu sehen, wie spät es ist. Heute sehe ich dort - nichts. Beim Checken weiterer Elektrogeräte wird schnell klar - der Strom ist weg. Der erste Impuls: Bei Facebook in unserer Stadtgruppe schauen, ob noch mehrere davon betroffen sind. Aber halt, geht ja nicht! Kein Computer, kein WLAN ... im Handy nur 'ne Prepaid-Karte, so dass ich zwar im Notfall damit kurz telefonieren kann, aber eben nicht im Internet surfen, sonst wird es sehr schnell sehr teuer. Facebook ist also keine Option. Verdammt.

Ich höre unten auf der Straße den Nachbarn reden, vielleicht weiß der mehr ... Also schnell ins Bad, angezogen und nach draußen gelaufen. Ich muss nun also tatsächlich meine Wohnung verlassen(!), um an eine benötigte Information zu gelangen, ein ungewohntes Gefühl; es fühlt sich nicht richtig an. Aber ein paar Minuten später bin ich tatsächlich schlauer. Offenbar ist der Strom nahezu im gesamten Stadtgebiet weg, und laut Auskunft der Versorgungsbetriebe sei es "was Größeres", könnte also noch dauern. Toll.



 

Kein Strom also. Womöglich für längere Zeit. Mir dämmern erste Worst-Case-Szenarien. In der Mittagszeit erwarte ich eine Paketlieferung. Was schweres, zu schwer, um es selbst bei der Post abzuholen, sollte der Postbote mich nicht antreffen. Zudem brauche ich die bestellte Ware heute unbedingt. Nur - ohne Strom kann der Postbote nicht klingeln. Leichte Panik macht sich breit. Ich pinne einen Zettel an die Haustür mit der Bitte, der Postbote möge laut gegen die Tür klopfen und sich auf diese Weise bemerkbar machen; in der Hoffnung, dass es irgendjemand im Haus mitbekäme. Zudem ziehe ich in Erwägung, mich mit einer Tasse Kaffee am Fenster zu postieren und nach dem Postauto Ausschau zu halten. Kaffee - eine ordentliche Dosis Koffein ist genau das, was ich brauche, doch Moment ... geht ja nicht ohne Strom! Also kein Kaffee. Auch mein Brötchen zum Frühstück fällt heute wohl aus. Die Brötchen sind tiefgefroren und werden morgens frisch aufgebacken; kann ich also auch vergessen. Der Gedanke an die Sachen in meinem Tiefkühlschrank löst die nächste Panikwelle aus: Wenn dieser Stromausfall tatsächlich länger dauern sollte, dann ist alles, was sich darin befindet, nur noch für die Tonne!

Ich überlege kurz, mir irgendwo ein frisches Brötchen zu kaufen, verwerfe den Gedanken jedoch gleich wieder. Der Strom ist überall weg, das heißt, in keinem der Geschäfte funktionieren die Kassen, man wird also gar nichts kaufen können. Auch Mist! Ich esse stattdessen zum Frühstück einen der Amerikaner, die ich gestern gebacken habe, der mir aber um diese Zeit irgendwie viel zu süß und zu klebrig ist. Nicht gerade der perfekte Start in den Tag. 

Was also tun? Kein Kaffee, kein Internet, kein Telefon ... vielleicht Putzen? Kann man machen, aber spätestens beim Staubsaugen ist dann wieder Sense; und halbfertige Sachen mag ich nicht. Dann vielleicht noch mal gemütlich hinlegen und lesen. Ich nehme mein Buch, aber auch das erweist sich als schwierig, denn es ist ein dunkler, wolkenverhangener Tag - zu dunkel, um ohne Licht die einzelnen Worte auf den Buchseiten erkennen zu können.

Dann also vielleicht Kerzenlicht? Irgendwo muss ich doch noch Streichhölzer haben! Vor Jahren - vor sehr vielen Jahren, wie mir scheint - hab ich mal welche gekauft, im Küchenschrank müssten sie sein. Ich nehme also die Kiste mit Kleinkram aus dem Schrank, finde darin auch relativ schnell die Streichhölzer, aber noch bevor ich sie aus ihrer Plastikfolienverpackung befreit habe, höre ich, wie die Elektrotherme anspringt - der Strom ist wieder da! Welch eine Erlösung!
 
Etwas mehr als eine Stunde hat der Spuk gedauert, Zeit genug, um sich auszumalen, wie unser gesamtes zivilisiertes Leben zusammenbrechen wird, wenn etwas so elementares, das wir für selbstverständlich halten, plötzlich nicht mehr verfügbar ist. Und es gibt mir zu denken auf. 

Vor so ziemlich genau 30 Jahren fuhren eine Freundin und ich per Anhalter nach Schweden. Mit nichts weiter als einem Zelt, ein paar Klamotten und einem Esbit-Kocher im Gepäck. Wir campten zehn Tage lang in der Wildnis an Seeufern, kochten unser Essen auf dem Lagerfeuer und - wenn es zu sehr regnete - unseren Instantkaffee auf eben jenem Esbit-Kocher in der halbwegs trockenen Sicherheit unter den Zeltbahnen. Und wenn wir zu Hause anrufen wollten, um Bescheid zu sagen, dass wir noch am Leben sind, mussten wir in die nächstbeste Stadt trampen und dort nach Münzfernsprechern Ausschau halten. Handy? Internet? Facebook? Kannte man 1986 alles nicht und dennoch waren es zehn hammermäßig schöne und vor allem erholsame Tage. Aber würde mir das heute auch noch gefallen? Ohne Internet? Ohne Facebook? Ich habe da irgendwie meine Zweifel ...

Mittwoch, 27. Juli 2016

Blick über den Tellerrand


Vor kurzem habe ich die Autobiographie von Janina David gelesen. Es ist die Geschichte einer polnischen Jüdin, Jahrgang 1930, die einen Teil ihrer Kindheit im Warschauer Ghetto erlebte - und überlebte. Die Fernsehserie Ein Stück Himmel, die in den 80er Jahren ausgestrahlt wurde, die mich schon damals sehr beeindruckt und nie wieder ganz losgelassen hat, erzählt von dieser Zeit. 

Wovon die Verfilmung nicht erzählte war die Zeit nach dem Krieg, nach dem Überleben. Sie erzählte nicht von der Rückkehr in die Heimatstadt, vom Warten auf die Eltern, die einst im Ghetto zurückgeblieben waren - und die niemals heimkehrten. Sie erzählte nicht von der Leere und der Dunkelheit, die plötzlich über allem liegt, dem Gefühl des "Es-nicht-verdient-Habens-zu-Überleben", wenn doch all die anderen, die einem nahe standen, sterben mussten. Sie erzählt nicht von dem Unverständnis, wie eine einstmals hochbegabte Schülerin es nicht mehr schafft, sich im Unterricht auf die einfachsten Dinge zu konzentrieren und schließlich kläglich versagt. 


Später dann die Flucht aus Polen, mit Hilfe von Schleusern nach Frankreich, ins Exil. Keine Papiere, eine fremde Sprache, Unterkunft abwechselnd bei entfernten Verwandten, die alle mit sich selbst zu tun haben und die von den Folgen des Krieges traumatisiert scheinen, und zwischendurch immer wieder in verschiedenen Kinderheimen, zusammengepfercht mit anderen Geflüchteten, jeder davon mit seiner eigenen Geschichte. Das Gefühl, nirgendwo willkommen zu sein. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, wo man am Ende landet. Dazu die Bilder von Krieg und Tod im Kopf, was jeder auf seine Weise zu kompensieren versucht, und es nicht immer schafft.

Janinas Geschichte spielt in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, und sie wirkt auf uns wie ein Blick in eine dunkle Zeit.

Auch in diesen Tagen sind Hunderttausende auf der Flucht vor Krieg und Terror.


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Mehr zu Janina David: Interview in der ZEIT von 1994

Dienstag, 26. Juli 2016

Eine Zeitreise

 Nun habe ich, endlich mal, mit der Lektüre eines Romans begonnen, der einer Freundin gehört, der auf Umwegen bei mir gelandet ist und nun schon einige Zeit hier im Schrank auf dem Stapel der noch zu lesenden Bücher lag: Die hellen Tage von Zsuzsa Bánk, ein ruhiges, fast schon poetisches Buch, das still und unaufgeregt vor sich hinplätschert und von dem ich noch nicht sagen kann, ob es mich wirklich fesselt, oder ob mir die Protagonisten und ihr Handeln nicht doch durchweg etwas fremd bleiben werden. Aber es löst etwas aus, soviel kann ich schon sagen. Denn obgleich die in der Erzählung beschriebenen Kindheitstage wohl einige Jahre weiter zurückliegen als die Zeit, in der ich selbst aufgewachsen bin, trägt es mich zurück in die Tage, die einmal meine Welt gewesen sind, und die es so nicht mehr gibt. 
 
Wie oft habe ich mir schon gewünscht, mir meine Kamera zu schnappen und zurück durch die Zeit reisen zu können, einfach nur mal für ein paar Stunden, um den Fragmenten meiner Erinnerung ein Gesicht zu geben, sie greifbarer zu machen und um sie mit den Menschen, die erst viel später in mein Leben kamen, teilen zu können. Die immer etwas staubig riechende Vorratskammer meiner Oma zum Beispiel, die sie "Butze" nannte, mit den Zwiebeln an der Decke und den selbst gemachten Fruchtsäften im Regal, die ich als Kind immer trinken musste und von denen ich Bauchweh bekam. Wenn meine Cousinen zu Besuch kamen, schlossen wir uns dort im Dunkeln ein und erzählten uns Geistergeschichten. Die alte, dämmrige Werkstatt mit ihrem faszinierenden Chaos aus Sägen, Feilen und Schrauben, wo wir als Kinder manchmal spielen durften. Der windschiefe Schuppen hinter dem Haus, auf dessen Dachboden es geheimnisvolle Dinge zu entdecken gab, und wo die Streunerkatzen jedes Frühjahr ihre Jungen bekamen, die sich niemals zähmen ließen und die alle nie alt wurden. Das Warenlager mit seinem Glasdach und seinen endlosen, aufgeräumten Regalen voller rätselhafter Schätze aus dem früheren Familienbetrieb. Der Hinterhof, in dem meine Freunde und ich mit Fingerfarben an die Wände malten und wo wir Skulpturen aus Lehm formten. Der Betonsockel, den mein Vater für die Blumentöpfe gegossen hatte, mit den Abdrücken von Katzenfüßen darauf, die für viele Jahre einer unbekannten Samtpfote ein Denkmal gesetzt haben. Und nicht zuletzt der Garten meiner Oma im Vogelsang, in den ich sie oft begleitet habe und den ich noch aus der Erinnerung in allen Einzelheiten nachzeichnen könnte, wenn ich denn zeichnen könnte. 

Katzenkinder auf dem Glasdach unseres Lagers, aufgenommen 1985 aus dem Küchenfenster meiner Oma

Es gibt unzählige Fotos aus jenen Jahren, aber sie alle zeigen eigentlich nur uns Kinder in allen erdenklichen Phasen des Aufwachsens. Die Dinge, das Ambiente, die diesen Phasen einen Rahmen gegeben haben, wurden dabei vernachlässigt, man konnte sich wohl zu keiner Zeit vorstellen, dass gerade sie es einmal sein würden, die in der Erinnerung überleben und sich zu einem Kaleidoskop aus Bildern zusammenfügen, die wir Kindheit nennen.

Montag, 25. Juli 2016

Gedanken sammeln

Nun also doch ein Blog. Wollte ich ja irgendwie nie. Ich hab meine Websites (die schon laut nach dem längst überfälligen Update schreien), ich hab einen Instagram-Account, den ich mehr oder weniger regelmäßig nutze, einen Twitter-Account, den ich nie nutze, und auf Facebook bin ich praktisch zuhause. Seit vielen Jahren. 

Facebook ist toll; ich liebe es und ich möchte es niemals missen wollen, aber es ist schnelllebig. Schon nach kurzer Zeit rutscht ein Beitrag "nach unten" und wird von anderen nur noch schwer gefunden. Dies kommt einem entgegen, wenn man über momentane Befindlichkeiten schreibt, die einem Tage oder Wochen später sowieso eher peinlich sind. Jedoch unpraktisch, wenn man etwas schreiben möchte, was etwas länger Bestand haben soll. Daher nun - genau zu diesem Zweck - die Entscheidung für den Blog. 


Vielleicht werde ich auch hier nicht regelmäßig schreiben, vielleicht verläuft sich das Ganze irgendwann wieder im Sande, vielleicht aber auch nicht. Ich möchte hier Gedanken und Erinnerungen teilen, auch mal ein paar Fotos oder hin und wieder ein tierleidfreies Rezept, das ich selbst kreiert habe. Oder vielleicht von einem spannenden Projekt erzählen. Ich lasse es einfach mal auf mich zukommen und schaue, was passiert ...