Nun habe ich, endlich mal, mit der Lektüre eines Romans begonnen,
der einer Freundin gehört, der auf Umwegen bei mir gelandet ist und nun
schon einige Zeit hier im Schrank auf dem Stapel der noch zu lesenden
Bücher lag: Die hellen Tage von Zsuzsa Bánk, ein ruhiges, fast schon
poetisches Buch, das still und unaufgeregt vor sich hinplätschert und
von dem ich noch nicht sagen kann, ob es mich wirklich fesselt, oder ob
mir die Protagonisten und ihr Handeln nicht doch
durchweg etwas fremd bleiben werden. Aber es löst etwas aus, soviel
kann ich schon sagen. Denn obgleich die in der Erzählung beschriebenen
Kindheitstage wohl einige Jahre weiter zurückliegen als die Zeit, in der
ich selbst aufgewachsen bin, trägt es mich zurück in die Tage, die
einmal meine Welt gewesen sind, und die es so nicht mehr gibt.
Wie oft habe ich mir schon gewünscht, mir meine Kamera zu schnappen und
zurück durch die Zeit reisen zu können, einfach nur mal für ein paar
Stunden, um den Fragmenten meiner Erinnerung ein Gesicht zu geben, sie
greifbarer zu machen und um sie mit den Menschen, die erst viel später
in mein Leben kamen, teilen zu können. Die immer etwas staubig riechende
Vorratskammer meiner Oma zum Beispiel, die sie "Butze" nannte, mit den
Zwiebeln an der Decke und den selbst gemachten Fruchtsäften im Regal,
die ich als Kind immer trinken musste und von denen ich Bauchweh bekam.
Wenn meine Cousinen zu Besuch kamen, schlossen wir uns dort im Dunkeln
ein und erzählten uns Geistergeschichten. Die alte, dämmrige Werkstatt
mit ihrem faszinierenden Chaos aus Sägen, Feilen und Schrauben, wo wir
als Kinder manchmal spielen durften. Der windschiefe Schuppen hinter dem
Haus, auf dessen Dachboden es geheimnisvolle Dinge zu entdecken gab,
und wo die Streunerkatzen jedes Frühjahr ihre Jungen bekamen, die sich
niemals zähmen ließen und die alle nie alt wurden. Das Warenlager mit
seinem Glasdach und seinen endlosen, aufgeräumten Regalen voller
rätselhafter Schätze aus dem früheren Familienbetrieb. Der Hinterhof, in
dem meine Freunde und ich mit Fingerfarben an die Wände malten und wo
wir Skulpturen aus Lehm formten. Der Betonsockel, den mein Vater für die
Blumentöpfe gegossen hatte, mit den Abdrücken von Katzenfüßen darauf,
die für viele Jahre einer unbekannten Samtpfote ein Denkmal gesetzt
haben. Und nicht zuletzt der Garten meiner Oma im Vogelsang, in den ich
sie oft begleitet habe und den ich noch aus der Erinnerung in allen
Einzelheiten nachzeichnen könnte, wenn ich denn zeichnen könnte.
Es gibt unzählige Fotos aus jenen Jahren, aber sie alle zeigen eigentlich nur uns Kinder in allen erdenklichen Phasen des Aufwachsens. Die Dinge, das Ambiente, die diesen Phasen einen Rahmen gegeben haben, wurden dabei vernachlässigt, man konnte sich wohl zu keiner Zeit vorstellen, dass gerade sie es einmal sein würden, die in der Erinnerung überleben und sich zu einem Kaleidoskop aus Bildern zusammenfügen, die wir Kindheit nennen.
Katzenkinder auf dem Glasdach unseres Lagers, aufgenommen 1985 aus dem Küchenfenster meiner Oma
Es gibt unzählige Fotos aus jenen Jahren, aber sie alle zeigen eigentlich nur uns Kinder in allen erdenklichen Phasen des Aufwachsens. Die Dinge, das Ambiente, die diesen Phasen einen Rahmen gegeben haben, wurden dabei vernachlässigt, man konnte sich wohl zu keiner Zeit vorstellen, dass gerade sie es einmal sein würden, die in der Erinnerung überleben und sich zu einem Kaleidoskop aus Bildern zusammenfügen, die wir Kindheit nennen.
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