Mittwoch, 27. Juli 2016

Blick über den Tellerrand


Vor kurzem habe ich die Autobiographie von Janina David gelesen. Es ist die Geschichte einer polnischen Jüdin, Jahrgang 1930, die einen Teil ihrer Kindheit im Warschauer Ghetto erlebte - und überlebte. Die Fernsehserie Ein Stück Himmel, die in den 80er Jahren ausgestrahlt wurde, die mich schon damals sehr beeindruckt und nie wieder ganz losgelassen hat, erzählt von dieser Zeit. 

Wovon die Verfilmung nicht erzählte war die Zeit nach dem Krieg, nach dem Überleben. Sie erzählte nicht von der Rückkehr in die Heimatstadt, vom Warten auf die Eltern, die einst im Ghetto zurückgeblieben waren - und die niemals heimkehrten. Sie erzählte nicht von der Leere und der Dunkelheit, die plötzlich über allem liegt, dem Gefühl des "Es-nicht-verdient-Habens-zu-Überleben", wenn doch all die anderen, die einem nahe standen, sterben mussten. Sie erzählt nicht von dem Unverständnis, wie eine einstmals hochbegabte Schülerin es nicht mehr schafft, sich im Unterricht auf die einfachsten Dinge zu konzentrieren und schließlich kläglich versagt. 


Später dann die Flucht aus Polen, mit Hilfe von Schleusern nach Frankreich, ins Exil. Keine Papiere, eine fremde Sprache, Unterkunft abwechselnd bei entfernten Verwandten, die alle mit sich selbst zu tun haben und die von den Folgen des Krieges traumatisiert scheinen, und zwischendurch immer wieder in verschiedenen Kinderheimen, zusammengepfercht mit anderen Geflüchteten, jeder davon mit seiner eigenen Geschichte. Das Gefühl, nirgendwo willkommen zu sein. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, wo man am Ende landet. Dazu die Bilder von Krieg und Tod im Kopf, was jeder auf seine Weise zu kompensieren versucht, und es nicht immer schafft.

Janinas Geschichte spielt in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, und sie wirkt auf uns wie ein Blick in eine dunkle Zeit.

Auch in diesen Tagen sind Hunderttausende auf der Flucht vor Krieg und Terror.


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Mehr zu Janina David: Interview in der ZEIT von 1994

Dienstag, 26. Juli 2016

Eine Zeitreise

 Nun habe ich, endlich mal, mit der Lektüre eines Romans begonnen, der einer Freundin gehört, der auf Umwegen bei mir gelandet ist und nun schon einige Zeit hier im Schrank auf dem Stapel der noch zu lesenden Bücher lag: Die hellen Tage von Zsuzsa Bánk, ein ruhiges, fast schon poetisches Buch, das still und unaufgeregt vor sich hinplätschert und von dem ich noch nicht sagen kann, ob es mich wirklich fesselt, oder ob mir die Protagonisten und ihr Handeln nicht doch durchweg etwas fremd bleiben werden. Aber es löst etwas aus, soviel kann ich schon sagen. Denn obgleich die in der Erzählung beschriebenen Kindheitstage wohl einige Jahre weiter zurückliegen als die Zeit, in der ich selbst aufgewachsen bin, trägt es mich zurück in die Tage, die einmal meine Welt gewesen sind, und die es so nicht mehr gibt. 
 
Wie oft habe ich mir schon gewünscht, mir meine Kamera zu schnappen und zurück durch die Zeit reisen zu können, einfach nur mal für ein paar Stunden, um den Fragmenten meiner Erinnerung ein Gesicht zu geben, sie greifbarer zu machen und um sie mit den Menschen, die erst viel später in mein Leben kamen, teilen zu können. Die immer etwas staubig riechende Vorratskammer meiner Oma zum Beispiel, die sie "Butze" nannte, mit den Zwiebeln an der Decke und den selbst gemachten Fruchtsäften im Regal, die ich als Kind immer trinken musste und von denen ich Bauchweh bekam. Wenn meine Cousinen zu Besuch kamen, schlossen wir uns dort im Dunkeln ein und erzählten uns Geistergeschichten. Die alte, dämmrige Werkstatt mit ihrem faszinierenden Chaos aus Sägen, Feilen und Schrauben, wo wir als Kinder manchmal spielen durften. Der windschiefe Schuppen hinter dem Haus, auf dessen Dachboden es geheimnisvolle Dinge zu entdecken gab, und wo die Streunerkatzen jedes Frühjahr ihre Jungen bekamen, die sich niemals zähmen ließen und die alle nie alt wurden. Das Warenlager mit seinem Glasdach und seinen endlosen, aufgeräumten Regalen voller rätselhafter Schätze aus dem früheren Familienbetrieb. Der Hinterhof, in dem meine Freunde und ich mit Fingerfarben an die Wände malten und wo wir Skulpturen aus Lehm formten. Der Betonsockel, den mein Vater für die Blumentöpfe gegossen hatte, mit den Abdrücken von Katzenfüßen darauf, die für viele Jahre einer unbekannten Samtpfote ein Denkmal gesetzt haben. Und nicht zuletzt der Garten meiner Oma im Vogelsang, in den ich sie oft begleitet habe und den ich noch aus der Erinnerung in allen Einzelheiten nachzeichnen könnte, wenn ich denn zeichnen könnte. 

Katzenkinder auf dem Glasdach unseres Lagers, aufgenommen 1985 aus dem Küchenfenster meiner Oma

Es gibt unzählige Fotos aus jenen Jahren, aber sie alle zeigen eigentlich nur uns Kinder in allen erdenklichen Phasen des Aufwachsens. Die Dinge, das Ambiente, die diesen Phasen einen Rahmen gegeben haben, wurden dabei vernachlässigt, man konnte sich wohl zu keiner Zeit vorstellen, dass gerade sie es einmal sein würden, die in der Erinnerung überleben und sich zu einem Kaleidoskop aus Bildern zusammenfügen, die wir Kindheit nennen.

Montag, 25. Juli 2016

Gedanken sammeln

Nun also doch ein Blog. Wollte ich ja irgendwie nie. Ich hab meine Websites (die schon laut nach dem längst überfälligen Update schreien), ich hab einen Instagram-Account, den ich mehr oder weniger regelmäßig nutze, einen Twitter-Account, den ich nie nutze, und auf Facebook bin ich praktisch zuhause. Seit vielen Jahren. 

Facebook ist toll; ich liebe es und ich möchte es niemals missen wollen, aber es ist schnelllebig. Schon nach kurzer Zeit rutscht ein Beitrag "nach unten" und wird von anderen nur noch schwer gefunden. Dies kommt einem entgegen, wenn man über momentane Befindlichkeiten schreibt, die einem Tage oder Wochen später sowieso eher peinlich sind. Jedoch unpraktisch, wenn man etwas schreiben möchte, was etwas länger Bestand haben soll. Daher nun - genau zu diesem Zweck - die Entscheidung für den Blog. 


Vielleicht werde ich auch hier nicht regelmäßig schreiben, vielleicht verläuft sich das Ganze irgendwann wieder im Sande, vielleicht aber auch nicht. Ich möchte hier Gedanken und Erinnerungen teilen, auch mal ein paar Fotos oder hin und wieder ein tierleidfreies Rezept, das ich selbst kreiert habe. Oder vielleicht von einem spannenden Projekt erzählen. Ich lasse es einfach mal auf mich zukommen und schaue, was passiert ...