Samstag, 3. November 2018

Sharepic-Wahnsinn - Teilen ohne Nachdenken


Das Internet ist toll. Eigentlich. Zumindest dachte ich das immer. In unserer Kleinstadt war ich damals, Mitte der 90er, eine der ersten, die online ging. Damals noch über ein 14.4k-Modem mit ewig langen Einwahlzeiten; lang ist's her. Seitdem hat sich viel verändert in unserer Art und Weise, sich zu informieren, miteinander zu kommunizieren. Chatrooms, Diskussionsforen, dann Social Media-Plattformen … Myspace, wer-kennt-wen, Twitter, und schließlich – Facebook. Seit 10 Jahren bin ich nun schon beim Gesichtsbuch angemeldet, und genauso lange ist es aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. 


Facebook ist der Ort, an dem ich mich austausche, an dem ich Freundschaften geschlossen habe, an dem ich mitbekomme, was in der Welt vor sich geht, was in meiner Stadt vor sich geht, was die Leute bewegt … ein Ort, wo viel Gutes angestoßen wird. Facebook ist toll. Eigentlich. 


Denn es gibt auch eine andere Seite. Eine, die mich in letzter Zeit mehr und mehr nervt. Nämlich wenn ich sehe, wie das Medium zur Stimmungsmache missbraucht wird von Kräften, die bewusst Falschmeldungen streuen, um die Gesellschaft zu spalten, um ein – oftmals politisches - Ziel durchzudrücken, indem schleichendes Gift nach und nach ins Bewusstsein der User getröpfelt wird, bis die Saat aufgeht. Denn schließlich steht es ja auf Facebook, also muss es stimmen!


In einer Zeit, in der sich die Informationsbeschaffung vieler Menschen auf das Lesen von Schlagzeilen und Überschriften reduziert (warum auch die Mühe machen, mal einen kompletten Artikel zu lesen; ist doch viel zu viel verlangt!), haben Sharepics bei Facebook ein leichtes Spiel. Ob die Message, die sie vermitteln wollen, überhaupt stimmt, ob es sich um Halbwahrheiten oder gar schlichtweg falsche Behauptungen handelt, oder ob Zitate aus dem Kontext gerissen wurden und somit komplett sinnentfremdet sind; all das aus dem einfachen Grund, weil es so schön ins eigene Weltbild passt, wird nicht hinterfragt. Stattdessen wird geliked und geteilt, was das Zeug hält. 




Und dabei geht es inzwischen mitnichten um harmlose Hoaxes álà Bonsaikitten oder um Abofallen mittels auf die Haut gephotoshopter Lotuskapseln. Nein: Aufwiegeln und Spalten heißt die Devise! Neid, Hass und Unzufriedenheit säen! Und was könnte dabei besser funktionieren als diese bunten Spruchbildchen mit ihren einprägsamen Botschaften und meist geklauten Fotos (Urheberrecht? Wen interessiert's?!), bei denen der Aufreger, auf wenige kurze Sätze komprimiert (hurra, bequemer geht’s doch kaum; das spart lästiges Recherchieren und selber Nachlesen!), unreflektiert aus vollster Empörung heraus geteilt wird!? Tausendfach. Hundertausendfach. „Flüchtlinge bekommen 700 € Weihnachtsgeld! Teile das, wenn Dich das auch ärgert!“. „Grünen-Abgeordnete Soundso findet es gut, dass Deutsche bald in der Minderheit sind!“, „Asylanten fahren im Mercedes zur Tafel, läuft!“, „Kita in XY schafft das Martinssingen ab wegen Muslimen“ … die Liste ist endlos. Ob’s überhaupt stimmt? Geschenkt! Irgendwas wird schon dran sein … Hauptsache teilen und aufregen. Dass auf diese Weise Hass erzeugt wird, und Neid, - und noch mehr Hass -, und Wähler in die Arme radikaler Parteien getrieben werden … das ist von den einen so gewollt und wird von den anderen – ohne Nachzudenken – forciert. Wir erleben momentan in vielen Teilen der Welt einen alarmierenden Rechtsruck und höchst bedenkliche politische Entwicklungen. Das liegt sicher nicht nur an der Online-Hetze per Like- und Share-Button, aber es liegt auch mit daran. Und jeder einzelne, der diesen ganzen Mist teilt, ohne vorher sein Gehirn einzuschalten, trägt ein Stück weit dazu bei. 


Aber dies scheint mir ohnehin eins der größten Paradoxa unserer Zeit zu sein: Der Zugang zu Wissen und Information war noch nie so einfach, und dennoch werden die Leute anscheinend immer bequemer und fauler – oder vielleicht einfach nur dümmer.