Wenn wir von „dunklen Zeiten“ sprechen, so denken wir dabei
meist ans finstere Mittelalter, oder aber, zumindest hier bei uns in
Deutschland, an die Jahre von 1933 bis 1945. Vielleicht auch noch - jedenfalls
die Freigeister unter uns - an den spießigen Mief der 50er und 60er Jahre mit
seinen angestaubten Konventionen.
Aber spätestens seit dem Anbruch des 21. Jahrhunderts glaubten
wir, dass nun ein neuer, progressiver Wind weht. Unsere Gesellschaft war
offener geworden, toleranter und bunter. Alles ausgerichtet auf Globalisierung
und Fortschrittlichkeit, und auch, wenn es in vielen Bereichen noch immer Luft
nach oben gab, so wähnte man sich ethisch und moralisch zumindest auf dem
richtigen Weg.
Die globale Vernetzung durch das World Wide Web, allen voran
die großen Social Media-Plattformen, boten doch wunderbare Möglichkeiten,
einander kennenzulernen, sich zuzuhören, auszutauschen, Neues zu entdecken und
Gutes zu tun. Zumindest hätte ich mir das vor fünfundzwanzig oder dreißig
Jahren so oder so ähnlich vorgestellt, hätte mir da jemand erzählt, dass wir
eines Tages die fantastische Möglichkeit haben werden, weltweit in Echtzeit
miteinander zu kommunizieren.
Nun hat die Menschheit dieses grandiose Geschenk erhalten,
aber was machen wir damit? Missbrauchen es dafür, andere fertig zu machen, zu
verhöhnen, zu beleidigen; wir manipulieren Wahlen, spalten und geben radikalen
politischen Strömungen ein Forum. Wahre Trollschmieden werden ins Leben gerufen
und ihre Jünger und Bots rotzen ihre hasserfüllten Beiträge stakkatoartig ins
Netz und heizen die politische Stimmung in einer Weise an, dass man meint, ein
Bürgerkrieg stehe kurz bevor und das Dritte Reich Volume II sei nur noch eine
Frage der Zeit.
In diesem heißen, viel zu trockenen Sommer erleben wir nun –
wie es scheint - den völligen Werteverfall unserer westlichen Gesellschaft: Während
in den USA Kinder in Stahlkäfigen interniert werden und die orange Witzfigur im
Weißen Haus alte Allianzen zerschlägt und die Welt an den Rande eines Handelskrieges
führt, reißt in Deutschland eine bayerische Provinzpartei auf der rechten
Überholspur beinahe die Regierungskoalition in den Abgrund und mutet der
Republik dabei einen Innenminister zu, über den man eigentlich herzhaft lachen
könnte, wenn es nicht so traurig wäre. Im Bundestag wird in hetzerischen Reden das
Feindbild vom „Kopftuchmädchen“ und „alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen“
heraufbeschworen, und in Europa sind plötzlich wieder die Nationalisten en
vogue; Italien will die im Land lebenden Roma zählen lassen, und in Österreich
denkt man darüber nach, praktizierende Juden zu registrieren. Derweil schließt die
EU ihre Häfen und kriminalisiert Lebensretter, und während im Mittelmeer
Menschen ertrinken, skandiert der Pöbel eines schönen Montags mitten auf einem
öffentlichen Platz in Dresden „Absaufen, absaufen“. Konservative Revolution at
work.
Die Menschlichkeit, so scheint es, wird in diesem Sommer
2018 nun wohl endgültig zu Grabe getragen.